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Beschluss des Amtsgerichts Hamburg zu Rechtsverstößen beim Sichtungsverfahren gem. § 110 StPO

Unsere Kanzlei hat in einem Großverfahren kürzlich einen interessanten Beschluss des Amtsgerichts Hamburg zu Rechtsverstößen beim Sichtungsverfahren gem. § 110 StPO erwirkt (Az.: 164 Gs 2118/24).

Die beiden wesentlichen Angriffspunkte waren die unverhältnismäßig lange Dauer des Sichtungsverfahrens sowie die bereits durchgeführte inhaltliche Auswertung der Gegenstände anstatt einer bloßen Sichtung auf Beweisrelevanz oder -irrelevanz.

Die Kernaussagen des Beschlusses:

  1. Rechtswidrigkeit der Auswertung: Die Art und Weise der Durchsicht der bei der Durchsuchung am 17.12.2019 mitgenommenen Dokumente und Daten wurde als rechtswidrig erklärt.

    Die Durchsicht dauerte mit 4 ½ Jahren unverhältnismäßig lange, und es fand zudem bereits eine inhaltliche Auswertung statt, bevor eine richterliche Beschlagnahmeanordnung vorlag. Dies verstößt gegen die strafprozessuale Vorgabe, wonach eine zügige Sichtung und eine anschließende richterliche Beschlagnahme zum Zwecke der erst dann zulässigen Auswertung vorgesehen ist.

    Zur Begründung bezog sich das Gericht ausdrücklich auf einen ebenfalls von uns erwirkten Beschluss des Landgerichts Hamburg in anderer Sache (Beschluss vom 15.04.2024, Az.: 162 Gs 149/20).

  2. Schweigen auf Bestätigungsschreiben der StA irrelevant: Bemerkenswert und interessant an dem vorliegenden Sachverhalt war, dass die Staatsanwaltschaft mit Schreiben vom 03.05.2021 dem Verteidiger mitgeteilt hatte, dass die Sichtung der sichergestellten Unterlagen und EDV nach § 110 StPO beendet war.

    Wenngleich für eine solche Mitteilung – und erst recht nicht für das Schweigen hierauf – eine strafprozessuale Ermächtigungsgrundlage besteht, so argumentierte die Staatsanwaltschaft Hamburg im Beschwerdeverfahren, dass das Schweigen der Verteidigung als Zustimmung zu der weiteren Sichtung und auch inhaltlichen Auswertung zu verstehen sei (freiwillige Herausgabe).

    Dieser Argumentation hat das Amtsgericht zum Glück eine entschiedene Absage erteilt und festgestellt, dass die Staatsanwaltschaft vielmehr bei Feststellung von beweisrelevanten Gegenständen, spätestens jedoch bei Abschluss des Sichtungsverfahrens am 03.05.2021, zur Beantragung von Beschlagnahmebeschlüssen verpflichtet gewesen wäre.

    Ein „Schweigen auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben“ gibt es mithin im Ermittlungsverfahren nicht.

  3. Keine bewusste oder willkürliche Rechtsverletzung / kein Verwertungsverbot wegen eines weit verbreiteten Fehlverständnisses bei der Staatsanwaltschaft: Das Gericht stellte schließlich im Hinblick auf das geltend gemachte Beweisverwertungsverbot fest, dass die fehlerhafte Sachbehandlung durch die Ermittlungsbehörden auf einem verbreiteten grundsätzlichen Fehlverständnis der strafprozessualen Vorschriften bezüglich des Sichtungsverfahrens beruhte.

    Aus diesem verbreiteten Fehlverständnis zog das Gericht den bemerkenswerten Schluss, dass der Rechtsverstoß nicht als schwerwiegend oder willkürlich anzusehen sei, lehnte ein Beweisverwertungsverbot ab und ordnete nunmehr die Beschlagnahme an.

    An dieser Stelle widersprechen wir dem Amtsgericht: Ähnliche Fehler in parallelen Verfahren machen den Verstoß nicht besser, sondern schlimmer. Staatsanwaltschaften haben die Rechtslage zu kennen und zu respektieren. Überdies besteht ein weiterer Anhaltspunkt für einen schwerwiegenden und willkürlichen Rechtsverstoß darin, dass es für die Mitteilung bzgl. des Abschlusses des Sichtungsverfahrens – das Schweigen hierauf sollte die Rechtfertigungsgrundlage für die Auswertung bilden – nicht einmal eine strafprozessuale Grundlage gab, es war schlicht „freestyle“.

    Wir haben daher einen Verwertungswiderspruch erhoben und werden das Beweisverwertungsverbot im weiteren Verlauf des Verfahrens geltend machen.

Dieser Beschluss verdeutlicht die Bedeutung der Einhaltung strafprozessualer Vorschriften und die Konsequenzen bei deren Missachtung.

Sprechen Sie uns jederzeit gern an:

RA Dr. Oliver Pragal, Fachanwalt für Strafrecht
RA Wolfgang Prinzenberg (Wirtschaftsmediator)
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