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Strafrechtliche Risiken und ESG-Compliance in Deutschland und der EU 

Globale Lieferketten sind ein fester Bestandteil unternehmerischer Realität. Sie ermöglichen Effizienz, Spezialisierung und Kostenvorteile. Doch dort, wo sich wirtschaftliche Chancen ergeben, entstehen auch rechtliche Risiken. Wenn Kinderarbeit, Umweltverschmutzung oder der Ausschluss von Gewerkschaften im Ausland zum Teil der eigenen Wertschöpfungskette werden, stellt sich die Frage nach der Verantwortung des Unternehmens.

Diese Fragen werden zunehmend unter dem Begriff der ökologischen und sozialen Unternehmensverantwortung – kurz: ESG – zusammengefasst. Was lange Zeit primär ethischer oder reputationsbezogener Natur war, nimmt inzwischen der Gesetzgeber in den Blick und zwar nicht nur in Form von Berichtspflichten oder zivilrechtlicher Haftung, sondern auch mit Blick auf strafrechtliche Verantwortlichkeit. Besonders im Fokus steht dabei die Frage, welche Sorgfaltspflichten bestehen und welche Rechtsfolgen Verstöße hiergegen haben können.

Nachdem der deutsche Gesetzgeber mit dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) bereits umfangreiche Regelungen geschaffen hat, verschärft die EU mit der Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CS3D) die Anforderungen an ESG-Compliance und Unternehmenshaftung im Bereich Umwelt- und Menschenrechtsschutz. Die CS3D geht über das deutsche Lieferkettengesetz hinaus und verpflichtet Unternehmen, ihre gesamte Lieferkette EU-weit zu prüfen und Risiken zu minimieren.

Die Deutsche Perspektive

Klimaschutz vor dem Bundesverfassungsgericht – ein Weckruf mit Wirkung

Den Auftakt der rechtlichen ESG-Debatte in Deutschland markierte nicht etwa ein Gesetz, sondern ein Urteil.

Mit Beschluss vom 24. März 2021 erklärte das Bundes­verfassungs­gericht Teile des Klima­schutz­gesetzes für verfassungs­widrig. Das BVerfG begründete seine Entscheidung damit, dass die Regelungen künftige Generationen unverhältnismäßig stark belasten und damit das grundrechtlich geschützte Freiheitsversprechen verletzen würden. Das Urteil war mehr als eine Mahnung, es war ein verfassungsrechtliches Signal, das sich seither in der ESG-Gesetzgebung widerspiegelt.

Lieferkettengesetz: Zwischen politischem Anspruch und rechtlicher Realität

Mit dem Anfang 2023 in Kraft getretenen LkSG wollte der Gesetzgeber einen Paradigmenwechsel einleiten. Unternehmen ab 1.000 Mitarbeitenden wurden verpflichtet, menschenrechtliche und umweltbezogene Risiken in ihrer Lieferkette zu identifizieren, zu minimieren und im Bedarfsfall auch Abhilfe zu schaffen. Dazu gehörten u.a. Risikoanalysen, Präventionsmaßnahmen, ein internes Beschwerdeverfahren und ein jährlicher Bericht an das BAFA.

Die Sanktionsmechanismen, die das Gesetz vorsah, waren nicht unerheblich. Bei Verstößen konnten Unternehmen mit Bußgeldern belegt werden, die sich – abhängig von der Unternehmensgröße – auf bis zu zwei Prozent des weltweiten Jahresumsatzes beliefen. Zusätzlich bestand die Möglichkeit, Unternehmen zeitweise von der Teilnahme an öffentlichen Ausschreibungen auszuschließen. Und auch behördliche Zwangsmaßnahmen, etwa in Form von Zwangsgeldern bei Untätigkeit, waren vorgesehen, um die Durchsetzung der Pflichten zu sichern. Die Compliance-Anforderungen betrafen nicht nur Großunternehmen, sondern faktisch auch viele Mittelständler über ihre Rolle als Zulieferer.

Doch das Gesetz war politisch umstritten und wurde nach Amtsantritt der Ampelkoalition im Jahr 2021 faktisch entkernt. Berichtspflichten wurden abgeschafft, die Durchsetzung (mit wenigen Ausnahmen) ausgesetzt, das Gesetz selbst soll durch ein neues EU-konformes Regelwerk ersetzt werden.

Fälle aus der Praxis: Wenn abstrakte Pflichten konkret werden

Dass das LkSG Wirkung entfalten konnte, zeigt ein Blick auf die ersten Verfahren vor dem BAFA. Besonders öffentlichkeitswirksam waren:

  • Der Mazur-Fall: Polnische Lkw-Fahrer berichteten über ausbeuterische Arbeitsbedingungen. Das BAFA prüft derzeit, ob deutsche Unternehmen als Auftraggeber gegen das LkSG verstoßen haben.
  • Der Fall Edeka/Rewe: NGO-Beschwerden über Missstände bei Zulieferern in der Bananenproduktion führten zu BAFA-Verfahren gegen die beiden Handelsketten.
  • Der Fall BMW: Neue Hinweise auf problematische Rohstoffbeschaffung (Kobalt aus Marokko) stehen im Fokus kommender Prüfungen.

Diese Fälle zeigen: Die Verantwortung endet nicht an der Werkstorgrenze. Unternehmen müssen ihre Lieferketten rechtlich denken und notfalls auch rechtlich verteidigen können.

Strafrechtliche Risiken in Bezug auf ESG

Was viele unterschätzen: Die strafrechtlichen Risiken im ESG-Bereich bestehen längst, auch ohne spezielle ESG-Gesetze! Das Strafgesetzbuch kennt eine ganze Reihe von Tatbeständen, die umweltbezogenes oder menschenrechtswidriges Verhalten in Unternehmen sanktionieren, so z.B.:

  • § 324 ff. StGB: Gewässerverunreinigung, Luftverschmutzung, Bodenverunreinigung, illegale Abfallbeseitigung
  • §§ 263, 264a StGB: Betrug und Kapitalanlagebetrug, z. B. bei „Greenwashing“ nachhaltiger Produkte
  • § 16 UWG: Irreführende Werbung, etwa bei Umwelt- oder Sozialstandards
  • § 30 OWiG: Unternehmensgeldbuße bei Organisationsversagen

Prominente Beispiele reichen vom „Dieselgate“ über DWS (Greenwashing-Vorwürfe) bis hin zu Verfahren wegen illegaler Schiffsentwertung im Ausland („Beaching“). Auch wenn die Strafbarkeit im Einzelfall oft an engen Voraussetzungen hängt, sind die Ermittlungsverfahren selbst belastend, sowohl für das Unternehmen als auch für die Verantwortlichen.

Die Europäische Perspektive

Nicht nur der deutsche Gesetzgeber ist insoweit aktiv geworden. Auch auf Ebene der EU gab es zuletzt umfangreiche Initiativen im Bereich ESG.

Vom Green Deal zur Nachhaltigkeitspflicht

Ausgangspunkt für die aktuellen Entwicklungen ist der European Green Deal. Ziel ist es, Europa bis 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent zu machen. Aus diesem politischen Leitbild leitet sich eine Vielzahl von regulatorischen Initiativen ab – vom Taxonomie-Regime über die Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD, SFDR) bis zur neuen EU-Umweltstrafrechtsrichtlinie. Die wirtschaftliche Transformation soll flankiert werden durch Compliance-Pflichten für Unternehmen, die zunehmend justiziabel ausgestaltet sind.

Die CS3D: Lieferkette als rechtlicher Risikobereich

Mit der CSDDD (Corporate Sustainability Due Diligence Directive – kurz: CS3D) konkretisiert die EU ihre Vorstellung einer verantwortungsbewussten Unternehmensführung. Unternehmen mit mehr als 1.000 Mitarbeitenden und einem Umsatz über 450 Mio. Euro (innerhalb oder außerhalb der EU) werden verpflichtet, entlang ihrer gesamten Liefer- und Wertschöpfungskette menschenrechtliche und umweltbezogene Risiken zu identifizieren, zu bewerten und geeignete Abhilfemaßnahmen zu treffen.

Der Anwendungsbereich der CS3D ist dabei deutlich weiter als der deutschen LkSG, da sie sich nicht nur auf unmittelbare Zulieferer bezieht, sondern auch auf nachgelagerte Prozesse wie etwa Vertrieb und Entsorgung. Unternehmen müssen außerdem ein Transformationskonzept zum Klimaschutz vorlegen.

Entschärfung durch Omnibus-Pakete

Allerdings hat die EU – insbesondere unter dem Eindruck wirtschaftlicher Belastungen und politischer Vorbehalte – mit den sogenannten Omnibus-Paketen I und II zentrale Punkte der Richtlinie wieder abgeschwächt:

  • Der Anwendungsbereich wurde reduziert.
  • Unternehmen müssen tiefgehende Risikoanalysen in der Lieferkette nur noch dann durchführen, wenn konkrete Hinweise auf Risiken vorliegen.
  • Die Pflicht, Geschäftsbeziehungen als „ultima ratiozu beenden, entfällt.
  • Zur zivilrechtlichen Haftung wird auf nationale Rechtsordnungen verwiesen.
  • Die Umsetzungsfrist wurde auf 2027, die erste Anwendungspflicht auf 2028 verschoben.

Die Umsetzung in Deutschland soll über das geplante „Gesetz zur internationalen Unternehmensverantwortung“ erfolgen.

Nachhaltigkeitsberichterstattung und Finanzmarktregulierung

Parallel zur CS3D setzt die EU auf eine Vereinheitlichung der ESG-Berichtspflichten und fördert damit Transparenz im Bereich ESG. Die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) verpflichtet Unternehmen zur Offenlegung ihrer ESG-Risiken und -Strategien anhand europaweit einheitlicher Berichtsstandards. Auch die Sustainable Finance Disclosure Regulation (SFDR) verpflichtet Finanzmarktakteure zu ESG-Transparenz bei Produkten und Investitionen.

Insgesamt führen diese Regelwerke zu einer deutlichen Ausweitung von Offenlegungs- und Dokumentationspflichten verbunden mit Haftungsrisiken im Fall falscher oder unterlassener Angaben.

EU-Umweltstrafrechtsrichtlinie: ESG und Strafrecht verzahnt

Mit der im Mai 2024 verabschiedeten Richtlinie über den Schutz der Umwelt durch das Strafrecht (EU 2024/1203) wird auch das Strafrecht zum Instrument der ESG-Regulierung. Die Richtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten, bestimmte besonders umweltschädliche Verhaltensweisen unter Strafe zu stellen, darunter etwa:

  • unerlaubte Schadstoffemissionen in Luft, Wasser oder Boden
  • illegale Abfallverbringung
  • Schiffsentsorgung unter Umgehung des Recyclings
  • Verstöße gegen Artenschutz- oder Entwaldungsvorgaben

Unternehmen drohen empfindliche Sanktionen: Geldstrafen von bis zu 5 % des Jahresumsatzes oder 40 Mio. Euro, darüber hinaus auch öffentliche Bekanntmachung von Verurteilungen oder der Ausschluss von Fördermitteln.

Fazit: Europa bringt ESG auf eine neue Ebene

Die deutschen und europäischen Vorgaben zur ESG-Compliance greifen tief in unternehmerische Entscheidungsprozesse ein – und betreffen dabei nicht nur Großkonzerne. Die Kombination aus Sorgfaltspflichten, Berichtspflichten und strafrechtlicher Flankierung bedeutet, dass ESG in Europa nicht mehr freiwillig ist. Wer heute entlang komplexer Lieferketten tätig ist, muss Risiken erkennen, bewerten, dokumentieren und im Krisenfall rechtlich belastbar reagieren können

Unternehmen sollten ihre Compliance-Systeme rechtzeitig anpassen und ESG-Risiken nicht nur als PR-Problem, sondern als haftungsrelevante Rechtsfrage verstehen, die auch den Bereich strafrechtlicher Verantwortlichkeit betreffen. Der Aufbau eines funktionierenden ESG-Risikomanagements ist daher nicht nur bußgeldrelevant, sondern Teil einer vorbeugenden Verteidigungsstrategie.

Pragal & Prinzenberg unterstützt Unternehmen in diesem Spannungsfeld mit langjähriger Erfahrung im Wirtschafts- und Umweltstrafrecht sowie fundierter Kenntnis behördlicher Vorgehensweisen. Unser Angebot reicht von der strategischen Compliance-Beratung über präventive Risikoanalysen bis hin zur Verteidigung in Ermittlungs- und Bußgeldverfahren. ESG braucht nicht nur Richtlinienkompetenz, sondern auch strafrechtliches Urteilsvermögen.


Im Rahmen der 27. internationalen Konferenz der International Bar Association (IBA) in Santiago de Chile referierte unser Partner Dr. Oliver Pragal über aktuelle Entwicklungen im Zusammenspiel von Umwelt-, Menschenrechts- und Wirtschaftsstrafrecht unter dem Titel: „Supply chain and criminal offenses – the German perspective“.

Der vorliegende Blogbeitrag greift zentrale Inhalte dieses Vortrags auf und beleuchtet die deutschen sowie europarechtlichen Entwicklungen, insbesondere das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) und die neue Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CS3D), flankierende Berichtspflichten und die Rolle des Strafrechts.